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21.1.2025
Strafbarkeit von juristischen Personen
Sind die österreichischen Bestimmungen des Finanzmarkt-Geldwäschegesetzes (FM-GwG) zur Strafbarkeit der juristischen Person und zur Verlängerung der Verjährungsfrist sowie deren Auslegung durch die österreichische Rechtsprechung mit der Richtlinie (EU) 2015/849 („4. Geldwäscherichtlinie“) und allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätzen (insbesondere dem effet utile) vereinbar? Dies betrifft vor allem die Frage, ob die österreichischen Anforderungen an die Feststellung eines schuldhaften Verhaltens einer natürlichen Person als Voraussetzung für die Bestrafung einer juristischen Person mit dem EU-Recht vereinbar sind.
W172 2299298-1/7Z vom 10.10.2024, C-664/24
W172 2296169-1/8Z vom 30.10.2024, C-755/24
Den Verfahren liegen jeweils Straferkenntnisse der österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde („FMA“ oder auch „belangte Behörde“) zugrunde, mit denen sie eine juristische Person (die beschwerdeführende Gesellschaft) gemäß § 35 Abs. 1 bis Abs. 3 FM-GwG verwaltungsstrafrechtlich bestraft hat, weil sie einen Verstoß gegen geldwäscherechtliche Sorgfaltspflichten (§ 10 Z 2 FM-GwG) zu verantworten habe. Dabei stützen sich die Straferkenntnisse auf § 35 FM-GwG, wonach juristische Personen bestraft werden können.
Weil dem österreichischen Verwaltungsstrafrecht die Strafbarkeit der juristischen Person fremd ist, ist deren Bestrafung gemäß § 35 Abs. 1 und 2 FM-GwG in Verbindung mit der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) nur dann rechtmäßig, wenn zuvor das (objektiv) tatbestandsmäßige, rechtswidrige und (subjektiv) schuldhafte Handeln der konkret zu nennenden natürlichen Person (bzw. eines Organwalters) „gemäß § 34 Abs. 1 bis 3“ (FM-GwG) festgestellt und der juristischen Person in weiterer Folge zugerechnet wurde. Dabei ist es erforderlich, erstens, dass die natürliche Person, deren Handeln der juristischen Person zugerechnet werden soll, in diesem Verfahren zuvor selbst als Beschuldigte, jedenfalls zumindest als Partei mit allen Rechten, und nicht bloß als Zeuge eingebunden und behandelt wurde sowie zweitens, dass im Spruch (Tenor) des Straferkenntnisses an die juristische Person dieses tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handeln des identifizierten Organwalters (der identifizierten natürlichen Person) nicht nur festgestellt, sondern dieses drittens auch im Spruch (Tenor) der juristischen Person zugerechnet wird. Dies führt auch – regelmäßig – dazu, dass Fehler im Verfahren gegenüber dem Organwalter (bzw. der natürlichen Person), die für die juristische Person gehandelt haben, etwa beispielsweise, dass die relevante Person nur als Zeuge (unter Wahrheitspflicht) befragt wurde, zur Verfahrenseinstellung (bzw. Aufhebungen im Instanzenzug) im Verfahren der juristischen Person führt. Gleiches gilt ex lege, wenn das Verfahren nicht binnen der Frist der Verfolgungsverjährung durch die FMA eingeleitet wurde sowie wenn binnen der Strafbarkeitsverjährungsfrist keine endgültige Entscheidung gefällt werden konnte (beispielsweise rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwG] als Beschwerdeinstanz).
Aus diesem Grund sind auch in den gegenständlichen Ausgangsverfahren weitere natürliche Personen („Zurechnungspersonen“) Partei des Verfahrens, weil es nach dem oben Beschriebenen geboten ist, dass sie aufgrund ihrer Parteienrechte auch beschwerdelegitimiert sind, obwohl die belangte Behörde eine Bestrafung dieser natürlichen Personen nie angestrebt hatte.
Mit der Einführung der hier relevanten Bestimmungen des § 35 Abs. 1 bis 3 FM-GwG (bzw. zuvor schon des § 99d alt BWG i.d.F. BGBl. I Nr. 184/2013 als wortgleiche Vorgängerbestimmung) fand die Bestrafung der juristischen Person Eingang in das österreichische Verwaltungsstrafrecht. Im Wesentlichen wurde mit § 35 Abs. 1 und 2 FM-GwG der Art. 59 i.V.m. Art. 60 Abs. 5 und 6 der Richtlinie (EU) 2015/849 umgesetzt. Die Umsetzung des Richtlinientextes (Art. 60 Abs. 5) erfolgte jedoch mit einer bedeutsamen Ergänzung, die sich in § 35 Abs. 1 FM-GwG findet, wonach als zusätzliche Bedingung für die Bestrafung einer juristischen Person eingefügt wurde, (wörtlich) dass „eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Absatz 1 bis 3“ zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde. Diese einschränkende Wortfolge findet sich im Richtlinientext (vgl. Art. 60 Abs. 5 der Richtlinie) nicht. In § 34 Abs. 1 bis 3 FM-GwG ist jedoch die Bestrafung einer natürlichen Person nach dem österreichischen System des § 9 VStG geregelt, die in Art. 60 Abs. 5 und 6 der Richtlinie nicht enthalten ist; dort ist lediglich vorgesehen, dass eine natürliche Person zu Gunsten der juristischen Person handelt und aufgrund einer bestimmten Befugnis eine Führungsposition innehatte; ferner können auch andere natürliche Personen für die juristische Person Verantwortlichkeit begründen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen (Art. 60 Abs. 5 und 6 der Richtlinie). Eine subjektive (verwaltungs-)strafrechtliche Zuordnung zu einer identifizierten natürlichen Person ist jedoch gerade nicht vorgesehen.
Aus der Wortfolge „eine Pflichtverletzung gemäß § 34 Abs. 1 bis 3“ in § 35 Abs. 1 FM-GwG und dem Verweis auf § 9 VStG in § 34 Abs. 1 FM-GwG leitet die Rechtsprechung des VwGH die genannten (zusätzlichen) Anforderungen an die Strafbarkeit der juristischen Person nach § 35 FM-GwG ab. Diese beginnend mit VwGH 29.03.2019, Ro 2018/02/0023 ständige Judikatur wurde zwar zu § 99d alt BWG entwickelt (diese Bestimmung ist mittlerweile außer Kraft getreten), wird jedoch weiterhin auch zu § 35 FM-GwG angewendet.
Zusätzlich zu den oben beschriebenen Bedenken, die gegen die innerstaatliche Regelung des § 35 Abs. 1 bis 3 sowie § 36 FM-GwG sprechen, wird die rezente Judikatur des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu einer ähnlichen Rechtsfigur der Strafbarkeit der juristischen Person im unionalen Datenschutzrecht angeführt. Im Urteil des EuGH vom 5.12.2023 (Rechtssache C-870/21, Deutsches Wohnen, Rn. 77) wurde festgehalten (unter Verweis auf die Judikatur zum Unionskartellrecht), dass es „keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans dieser juristischen Person voraussetzt“, um die juristische Person zur Verantwortung zu ziehen. Weiters hat der EuGH im Tenor festgehalten, dass Art. 58 Abs. 2 und Artikel 83 Abs. 1 bis 6 der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach eine Geldbuße wegen eines in Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO genannten Verstoßes gegen eine juristische Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortliche nur dann verhängt werden kann, wenn dieser Verstoß zuvor einer identifizierten natürlichen Person zugerechnet wurde (vgl. dazu VwGH 01.02.2024, Ra 2020(04/187).
Nach Ansicht des BVwG könnte die Judikatur des EuGH in der Rechtssache C-870/21 auf Art. 60 Abs. 5 und 6 der 4. Geldwäsche-Richtlinie übertragbar sein, wobei die Rechtsnatur der DSGVO nicht verkannt wird.
Aus allen diesen Gründen hegt das BVwG Zweifel an der Vereinbarkeit von § 35 Abs. 1 bis 3 und § 36 FM-GwG (und ihrer Auslegung durch das nationale Höchstgericht) mit dem Unionsrecht (Art. 60 Abs. 5 und 6 der 4. Geldwäsche-Richtlinie) und legte diese Frage dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor (in diesem Sinne schon zuvor BVwG 25.04.2024, W148 2289668-1).
W172 2299298-1/7Z vom 10.10.2024
W172 2296169-1/8Z vom 30.10.2024
Die Vorlagefrage im Wortlaut:
Stehen das sekundäre Unionsrecht (insbesondere Artikel 60 Absatz 5 und Absatz 6 in Verbindung mit Artikel 58 Absatz 1 bis Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 59 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG, des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. L 141/73 vom 05.06.2015, zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2019/2177 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2019) wie auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Europäischen Union (insbesondere effet utile) den Bestimmungen des § 35 Absatz 1 bis Absatz 3 (über die Strafbarkeit von juristischen Personen) und § 36 (Verlängerung der Verjährungsfrist) österreichisches Finanzmarkt-Geldwäschegesetz (FM-GwG) entgegen, die in Verbindung mit der Auslegung dieser Bestimmungen durch den österreichischen Verwaltungsgerichtshof verlangen, dass es zur Bestrafung der juristischen Person zwingend erforderlich ist, dass zuvor einem Organwalter oder einer anderen natürlichen Person, die für die juristische Personen gehandelt hat, eine förmliche Parteistellung als Beschuldigter, jedenfalls zumindest als Partei mit allen Rechten, einzuräumen und weiters auch zwingend im Spruch (Tenor) des Straferkenntnisses gegenüber der juristischen Person festzustellen ist, dass die dort konkret zu nennende natürliche Person (oder der Organwalter) tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, um dieses Verhalten in einem weiteren Schritt der juristischen Person zuzurechnen, wobei die Verfolgungsverjährung ab Ende der Tathandlung binnen einer Frist von drei Jahren, die Strafbarkeitsverjährung binnen einer Frist von fünf Jahren eintritt?