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8.1.2025
Zulässigkeit der Anwendung von IP-Blocking durch einen Internet Service Provider
Wie ist die TSM VO (EU) 2015/2120 im Zusammenhang mit Website-Sperren aufgrund urheberrechtlicher Unterlassungsansprüche durch „IP-Blocking“ auszulegen?
W282 2280267-1/12Z vom 27.11.2024, C-832/24
W603 2280263-1/11Z vom 27.11.2024, C-833/24
W271 2280266-1/7Z vom 05.12.2024, C-834/24
In den zu Grunde liegenden Beschwerdeverfahren geht es um die Frage, welche zumutbaren Verkehrsmanagementmaßnahmen i.S.d. Art. 3 VO (EU) 2015/2120 („TSM-VO“) ein Internet Service Provider (ISP) als „Vermittler“ i.S.d. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG („InfoSocRL“) zu ergreifen hat bzw. ergreifen darf, um den Zugang seiner Kunden, die seine Internetzugangsdienste nutzen, aufgrund der Ausnahmebestimmung des Art. 3 Abs. 3 lit. a) TSM-VO zu Webseiten zu unterbinden, auf denen überwiegend oder ausschließlich urheberrechtlich geschützte Inhalte dritter Rechteinhaber ohne deren Genehmigung bereitgestellt werden oder auf diese Inhalte verlinkt wird (z.B. Torrent- oder Streamingportale). Die Telekom-Control-Kommission (TKK) als belangte Behörde ordnete mit den in diesen Verfahren angefochtenen Bescheiden gegenüber den betroffene ISPs an, dass IP-Sperren zu einer bestimmten IP-Adresse aufzuheben seien, da technisch nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch andere Inhalte bzw. Dienste von an dem unzulässigen Urheberrechtseingriff unbeteiligten Dritten (mit-)blockiert werden können, die unter einer anderen Domain aber unter derselben IP-Adresse bereitgestellt werden („overblocking“).
Die Verfahren setzen sich daher mit dem Spannungsfeld der in Art. 8 Abs. 3 RL 2001/29/EG festgelegten diesbezüglichen Unterlassungsansprüche der Rechteinhaber gegen einen ISP als Vermittler i.S.d. Urteils des EuGH vom 27. März 2014, Rs. C‑314/12 („kino.to“) im Lichte der nunmehrigen Verbote bzw. Rechteeinräumungen gemäß der Art. 3 Abs. 1 u. 3 VO (EU) 2015/2120 auseinander. Konkret wird die Frage aufgeworfen, welche Art von technischen Sperrmaßnahmen von Webseiten ein ISP zu ergreifen verpflichtet werden kann, ohne dass diese Maßnahmen einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 u. 3 VO (EU) 2015/2120 bzw. Art. 10 ERMK oder Art. 11 Abs. 1 sowie Art. 16 der EU-Grundrechtecharta (GRC) darstellen, weil diese Sperrmaßnahmen in technischer Hinsicht so weit reichen können, dass auch (mutmaßlich legale) Inhalte bzw. Dienste von unbeteiligten Dritten
(mit-)blockiert werden könnten, die unter derselben IP-Adresse abrufbar sind.
Im Fokus steht gegenständlich die Frage, ob es im Lichte von Art. 3 Abs. 1 u. 3 VO (EU) 2015/2120 bzw. Art. 11 Abs. 1 und Art. 16 der Charta zulässig ist, wenn bei Einsatz von „IP-Blocking“ (statt „DNS-Blocking“, bei dem nur eine oder mehrere Domains auf dem DNS-Server des ISP gesperrt werden), also der gänzlichen Sperre von Datenverkehr zu bzw. von bestimmten IP-Adressen oder ganzen „IP-Ranges“, die der Domain, unter der die unrechtmäßigen Inhalte („unlawful content“) angeboten werden, zugeordnet ist, möglicherweise auch eine technisch vorab kaum bestimmbare Anzahl von an der Rechtsverletzung unbeteiligten Domains mitblockiert wird („IP-Overblocking“), da diesen dieselbe IP-Adresse(n) zugeordnet ist (sind), wie jenen Domains unter denen die illegalen Inhalte abrufbar sind. Die Anzahl der Domains die durch den Einsatz von „IP-Blocking“ ungewollt mitblockiert werden könnten, ist in technischer Hinsicht ex-ante nicht zuverlässig feststellbar, da Anbieter von Webhosting Diensten unter einer einzigen IP-Adresse letztlich beliebig viele Domains adressieren können. Von dem ungewollten „IP-Overblocking“ können daher einzelne wenige oder aber auch hunderttausende von Webseiten betroffen sein. Werden beispielsweise IP-Adressen (mit-)blockiert, die der Adressierung eines Content-Delivery-Network („CDN“) dienen, kann die Anzahl (mit-)blockierter Webseiten auch in die Millionen gehen. Im August 2022 sorgte ein diesbezüglicher Fall in Österreich für Medienberichte (www.derstandard.at/story/2000138619757/ueberzogene-netzsperre-sorgt-fuer-probleme-im-oesterreichischen-internet).
Der Großteil der an den EuGH gerichteten Fragen dreht sich somit darum, ob überhaupt bzw. unter welchen Determinanten und mit welchen Grenzen die Anwendung von IP-Blocking durch einen ISP zulässig ist.
Das im Zentrum des Verfahrens stehende Urteil des EuGH in der Rs. C‑314/12 („kino.to“) erging im Jahr 2014 und somit vor Inkrafttreten der TSM-VO im Jahr 2015, weshalb auch in dieser Hinsicht eine Klärung erforderlich scheint, wie weitgehend die Ge- und Verbote des Art. 3 Abs. 1 u. 3 VO (EU) 2015/2120 bzw. die Ausnahmebestimmungen des Art. 3 Abs. 3 lit. a) VO (EU) 2015/2120 im Lichte der grundrechtlichen Anforderungen an Informations- und Meinungsfreiheit und unternehmerische Freiheit (Art. 11 und 16 GRC) auszulegen sind.
Entscheidungen der Zivilgerichte (des Obersten Gerichtshofes) in den letzten Jahren in Verfahren über Klagen der Rechteinhaber gegen ISPs auf Unterlassung der Zugangsvermittlung zu diesen strukturell urheberrechtsverletzenden Webseiten, werfen weitere Fragen auf, da in diesen Entscheidungen die Problematik des Overblocking nur am Rande bzw. technisch verkürzt adressiert wird, was wiederum daraus resultiert, dass sich in diesen zivilgerichtlichen Verfahren als Verfahrensparteien jeweils nur die Rechteinhaber als Kläger und die ISPs als Beklagte gegenüberstehen. Die von einem Overblocking potentiell betroffenen Nutzer (sowohl die Kunden des die Sperre vornehmenden ISP als auch die Bereitsteller der mitblockierten Webseiten) haben in diesen zivilgerichtlichen Verfahren grundsätzlich keine Parteistellung. Demgegenüber sah die TKK, die als zuständige Behörde die Ge- und Verbote des Art. 3 Abs. 1 u. 3 VO (EU) 2015/2120 überwachen und durchsetzen soll, ein grundlegendes Problem in der Anwendung von IP-Blocking, da dieser Sperrmaßnahme eine letztlich unberechenbare „Overblocking-Komponente“ innewohne, da sich vorab nicht abschließend feststellen lasse, ob weitere (unbeteiligte) Domains unter der zu sperrenden IP-Adresse erreichbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher den EuGH auch darum um Auskunft ersucht, ob zur Klärung der Frage, ob die von Rechteinhabern bei einem ISP beantragten Sperrmaßnahmen eine Verletzung des Art. 3 TSM-VO darstellen, nun die Zivilgerichte im Rahmen von Unterlassungsklagen der Rechteinhaber nach § 81 Abs. 1a UrhG (iUd Art. 8 Abs. 3 InfoSocRL) oder die TKK im Rahmen der in Art. 5 TSM-VO angeordneten Überwachung und Vollziehung der TSM-VO zuständig ist.
W282 2280267-1/12Z vom 27.11.2024
W603 2280263-1/11Z vom 27.11.2024
W271 2280266-1/7Z vom 05.12.2024
Die Vorlagefragen im Wortlaut:
1. a) Ist die ausnehmende Bedingung in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 „[..]außer soweit und solange es erforderlich ist, um [..]“ iVm Art. 3 Abs. 3 lit. a) VO (EU) 2015/2120 und deren ErwG 11 u. 13 dahingehend auszulegen, dass im Fall der Ergreifung von Verkehrsmanagementmaßnahmen durch einen Anbieter von Internetzugangsdiensten („ISP“), der seinen Verpflichtungen des Unterbindens der Ermöglichung des Zugangs zu illegalen Inhalten bzw. Diensten („Netzsperren“ bzw. „Sperrmaßnahme“) nachkommt, welche aus mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften entspringen und denen der ISP unterliegt, vor dem Hintergrund der Ge- und Verbote der Art. 3 Abs. 1 u. 3 der VO (EU) 2015/2120, des Art. 11 Abs. 1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („Charta“) sowie der Ausführungen des Gerichtshofes insb. in den Rn. 55, 56 u. 59 des Urteils vom 27. März 2014, Rs. C‑314/12, ungeachtet der Erfüllung des Ausnahmetatbestandes des Art. 3 Abs. 3 lit. a) VO (EU) 2015/2120, nur jene Verkehrsmanagementmaßnahme ergriffen werden dürfen, die zur Erreichung des Zwecks des Unterbindens des Zugangs zu (illegalen) Inhalten bzw. Diensten als unbedingt notwendig, angemessen und verhältnismäßig anzusehen sind?
1. b) Sollte Frage 1. a) bejaht werden: Ist die Notwendigkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit einer derartigen Sperrmaßnahme iSd Frage 1. a) und der Rn. 56 und 57 im Urteil des Gerichtshofes vom 27. März 2014, Rs. C‑314/12 von den nationalen Regulierungsbehörden in einem Verfahren gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 zu überprüfen oder von jenen Behörden oder Gerichten, die über das Bestehen von Unterlassungsansprüchen von Rechteinhabern gegen ISP‘s als „Vermittler“ iSd Art. 8 Abs. 3 der RL 2001/29/EG (national: § 81 Abs. 1a UrhG) entscheiden?
1. c) Sollte Frage 1. a) bejaht werden: Ist die Notwendigkeit, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit einer derartigen Sperrmaßnahme iSd Frage 1.a) allein anhand des Parameters zu beurteilen, wie weitgehend die beabsichtigte Sperrmaßnahme in das Recht des ISP auf unternehmerische Freiheit iSd Art. 16 der Charta und die Rechte der Endnutzer gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EU) 2015/2120 bzw. auf Informationsfreiheit iSd Art. 11 der Charta nachteilig eingreift oder ist bei dieser Abwägung iSd Ausführungen des Gerichthofes in Rn. 60 des Urteils vom 27. März 2014, Rs. C‑314/12 ebenso zu berücksichtigen, wie (technisch) effektiv eine bestimmte Verkehrsmanagementmaßnahme hinsichtlich der Unterbindung des Zugriffs der Endnutzer des ISP auf die illegalen Inhalte/Dienste ist; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass alle zur Verfügung stehenden Sperrmaßnahmen mit einem gewissen (unterschiedlich hohen) technischen Aufwand letztlich umgangen werden können?
1. d) Sollte Frage 1. a) bejaht werden: Ist Art. 3 Abs. 1 u. Abs. 3 UAbs. 2 iVm Art. 3 Abs. 3 lit. a) VO (EU) 2015/2120 dahingehend auszulegen, dass im Fall, dass einem ISP zur Erfüllung der Verpflichtungen der Unterbindung des Zugriffs auf illegale Inhalte/Dienste in technischer Hinsicht verschiedene geeignete Maßnahmen Verkehrsmanagementmaßnahmen zur Unterbindung des Zugriffs zur Verfügung stehen, der ISP hiervon nur jene Maßnahme zur Anwendung bringen darf, die für Endnutzer die am wenigsten weitgehenden Einschränkungen ihrer Rechte aus den Art. 3 Abs. 1 u. Abs. 3 UAbs. 2 VO (EU) 2015/2120 bzw. der Art. 11 Abs. 1 u. Art. 16 der Charta zur Folge haben, dies ungeachtet der Tatsache, wie einfach oder schwierig die Umgehung der jeweiligen Sperrmaßnahe für Endnutzer in technischer Hinsicht ist?