17.09.2021 S 8 Marchfeld Schnellstraße

Keine Genehmigung der S 8 Marchfeld Schnellstraße aufgrund mangelhaften Behördenverfahrens möglich

BMK muss Alternativenprüfung gem. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie bzw. NÖ Naturschutzgesetz nachholen

Das UVP-Verfahren zur S 8 Marchfeld Schnellstraße wurde vom Bundesverwaltungsgericht aufgrund von Mängeln im Behördenverfahren und der Missachtung naturschutz- und artenschutzgesetzlicher Bestimmungen an das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zurückverwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerden von insgesamt 18 Parteien gegen den UVP-Bescheid, mit dem der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie die Errichtung der S 8 Marchfeld Schnellstraße genehmigt hat, behandelt. Die Beschwerden wurden von sechs Bürgerinitiativen, die zusammen mindestens 1.200 Bürgerinnen und Bürger aus betroffenen Gemeinden vertreten haben, von zwei anerkannten Umweltorganisationen sowie von zehn vom Projekt betroffenen Nachbarinnen und Nachbarn eingebracht.

Im Beschwerdeverfahren wurden ergänzende Ermittlungstätigkeiten unter Heranziehung von Sachverständigen aus mehreren Fachgebieten durchgeführt. Die Ermittlungsergebnisse wurden mit den Verfahrensparteien an mehreren Verhandlungstagen erörtert. Inhaltlich war das Verfahren komplex: Neben dem behördlichen Verfahrensakt des UVP-Verfahrens waren auch Unterlagen des Vorprojekts aus dem Jahr 2008, die Strategische Prüfung Verkehr für die Marchfeld Straße aus dem Jahr 2005 und Unterlagen zum Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Österreich aus dem Jahr 2001 zu berücksichtigen. Darüber hinaus wurden von den Verfahrensparteien im Beschwerdeverfahren neue Gutachten sowie umfangreiche Korrekturen und Ergänzungen der Projektunterlagen eingebracht. Auf Basis dieser umfangreichen Beweismittel führte der aus drei Berufsrichtern bestehende Richtersenat eine Prüfung der Beschwerden durch.

Nach der ersten mündlichen Beschwerdeverhandlung im Februar 2020 stand für den Richtersenat fest, dass die Trasse der S 8 durch den Lebensraum des Triels geführt werden soll. Diese Vogelart ist sowohl nach der Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union (VSch-RL) als auch nach der NÖ Artenschutzverordnung geschützt und in Österreich vom Aussterben bedroht. Der betroffene Teil des Lebensraums des Triels hätte als Vogelschutzgebiet ausgewiesen werden müssen. Das Schutzgebiet „Sandboden und Praterterrasse“ war jedoch im Jahr 2009 von der NÖ Landesregierung zu klein ausgewiesen worden. Die nicht ausgewiesenen Teile stellten daher ein sogenanntes „faktisches Vogelschutzgebiet“ dar, in das gemäß der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) kein Eingriff erfolgen darf. Nach dem damaligen Stand des Beschwerdeverfahrens (Februar 2020) hätte das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Durchführung der UVP für die Errichtung der S 8 abweisen müssen.

Mitte April 2020 – offenbar in unmittelbarer Reaktion auf das oben dargestellte Verhandlungsergebnis – weitete die Naturschutzabteilung der NÖ Landesregierung die Gebietsgrenzen des Europa­schutzgebietes „Sandboden und Praterterrasse“ um zusätzliche Flächen im Trassenbereich der S 8 aus. Da durch diese Ausweitung des Vogelschutzgebietes eine geänderte Sach- und Rechtslage vorlag, war das Beschwerdeverfahren durch das Bundesverwaltungsgericht fortzusetzen und die Auswirkungen der S 8 auf das nun erweiterte Vogelschutzgebiet zu überprüfen (Erheblichkeitsprüfung).

Im fortgesetzten Verfahren kam der Richtersenat zu dem Ergebnis, dass der Bau und der Betrieb der S 8 mit den Schutzzielen der relevanten Naturschutzbestimmungen nicht im Einklang steht – insbesondere dem Erreichen eines günstigen Erhaltungszustandes für den Triel. Die Realisierung der S 8 würde zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets führen. Nach Vorgabe des Art. 6 Abs. 4 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) bzw. § 10 NÖ Naturschutzgesetz 2000 (NÖ NSchG 2000) ist somit eine sogenannte Alternativenprüfung durchzuführen. Bei dieser ist zu klären, ob keine alternative Trassenführung möglich ist, die zu geringeren Auswirkungen führt, und ob zwingende Gründe des öffentlichen Interesses das Interesse des Naturschutzes überwiegen (Interessensabwägung).

Das Beschwerdeverfahren hat zudem ergeben, dass die Bestimmungen des Artenschutzes sowohl betreffend den Triel als auch das Ziesel durch den Bau und den Betrieb der S 8 verletzt werden. Auch in einem solchen Fall ist eine Errichtung unter den beschriebenen Voraussetzungen (Alternativenprüfung und Interessensabwägung) möglich.

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich schließlich ergeben, dass weder in der Strategischen Prüfung Verkehr noch im Bewilligungsverfahren der Behörde eine ausreichende Alternativenprüfung stattgefunden hat. Aus Sicht des Richtersenats war das Behördenverfahren deshalb bereits zum Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht mit einem Mangel behaftet. Da die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat und diese Ermittlungen (insbesondere die Alternativenprüfung) nur durch ein zeit- und kostenaufwändiges Verfahren durch das Bundesverwaltungsgericht nachgeholt werden könnten, wurde das Verfahren zur Ergänzung an die Behörde zurückverwiesen.

Die Behörde hat nunmehr in einem fortgesetzten Ermittlungsverfahren eine fundierte Alternativenprüfung für verschiedene mögliche Verkehrslösungen nachzuholen und (falls sie zu dem Ergebnis kommt, dass die beantragte Streckenführung die naturverträglichste ist) darauf aufbauend eine Interessensabwägung durchzuführen. Entsprechend der Ergebnisse dieser Prüfschritte hat die Behörde das Verfahren zu ergänzen oder (falls sie zum Ergebnis kommt, dass die beantragte Streckenführung nicht die naturverträglichste ist) den Bewilligungsantrag abzuweisen.

Beschluss vom 13.09.2021, W109 2220586-1/414E